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Ein Roadtrip mit Papa – oder wie uns die Abenteuerlust gepackt hat

Während Maria zwölf Tage lang rund um die Uhr auf einem “Bauernhof” arbeitet, wo sie sich um Jugendliche kümmert, die es im Leben nicht so leicht haben, machen die Kinder und ich einen Roadtrip nach Westnorwegen. Wir fahren am frühen Abend los und nach zwei Stunden, wenn die Kinder schon lange viel zu ungeduldig und zappelig sind, frage ich an einer einsamen Imbissbude am Straßenrand nach der nächsten Bademöglichkeit.

“Anderthalb Kilometer noch und dann den Schotterweg rechts in den Wald rein“, sagt der stämmige Mann hinter dem Tresen. Kurze Zeit später springen wir alle in einen angenehm abkühlenden See. Die Kinder sind zufrieden und ich lasse sie eine Weile baden, bis Filippas Lippen irgendwann lila sind. Danach setzen wir uns ins Auto, essen Brot zum Abendessen und fahren weiter. Unsere Route nach Westnorwegen führt uns über eine Gebirgsregion namens Haukelifjell, und die Landschaften, die an uns vorbeiziehen, werden immer rauer und einsamer.

“Mach die Jazz-Playlist an”, sagt Aaron gähnend. Ruhige Jazz-Musik ist bei uns in der Familie irgendwie seit ein paar Jahren die Musik fürs Mittagessen und manchmal auch zum Einschlafen. Sie gibt unseren Kindern irgendwie ein vertrautes und geborgenes Gefühl. Filippa schläft als erstes ein, mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht, und es dauert nicht lange, bis alle Kinderaugen zu sind.

Sie lieben Roadtrips dieser Art.

Das erste mal war vor etwa acht Jahren, als wir noch in Dortmund wohnten. Es war mitten in den Sommerferien. Eine ganze Woche lang nur Regen angesagt. “Wie wäre es wenn wir jetzt einfach zum Mittelmeer fahren” scherzte ich zu Maria. “Warum nicht”, antwortete sie mit Sternen in den Augen und es gab keinen Zweifel daran, dass sie das auch völlig ernst meinte. Am gleichen Abend saß die ganze Familie dann im Auto, und auch wenn Maria und ich uns beim Fahren abwechselten, konnte ich keine Sekunde schlafen, da ich ein ständiges Kribbeln im Bauch hatte. Am nächsten Morgen, kurz nachdem die Kinder wach wurden, parkten wir vor einem traumhaften Strand, irgendwo in Italien. Noch kein Plan wo wir schlafen würden. Unser erstes Familienabenteuer.

Und das war wohl der Zeitpunkt, wo wir unwiderruflich von der Abenteuerlust gepackt wurden.

Nachts fahren ist seitdem zu einer Tradition geworden bei uns. Die Kinder verbinden es einfach mit Abenteuer, Urlaub und dem Aufwachen an schönen Orten. Wahrscheinlich haben wir es einfach zu oft gemacht.

Während die Kinder schlafen, fahre ich weiter durch die Berglandschaften. Ich genieße die Ruhe, mache irgendwann einen Podcast an und komme ein paar Stunden später, so gegen halb drei, auf einer Insel namens Karmøy an, wo wir sieben Tage lang meine Familie besuchen.

Filippa und Aaron spielen tagein und tagaus mit ihren Cousins, die im gleichen Alter sind. Sie laufen alle von Haus zu Haus, besuchen Oma, Uroma, Onkeln und Tanten, während Lydia und Amy viel Zeit mit ihrer Tante verbringen, meine kleine Schwester, die mit ihren 16 Jahren nur ein paar Jahre älter sind als sie. Sie sitzen bis spät Abends auf und reden sehr offen über Gott und die Welt, und Jungs natürlich. Lydia und Amy finden ihre Geschichten super spannend und saugen alles auf, was sie ihnen erzählt.

An einem Abend kocht meine Mutter was Leckeres für die ganze Familie und wir reden alle laut und fröhlich kreuz und quer über den Tisch. Nach dem Essen beobachte ich meine Oma, wie sie in einem Sessel in der Ecke des Wohnzimmers sitzt, an ihrem Rotwein nippt und zufrieden rüber zu ihren Urenkeln schaut, die auf dem Fußboden irgendein Spiel spielen.

Ich spiele Tennis mit meinem Vater und Brüdern, eine Sportart, die uns seit Jahren verbindet, auch wenn ich nur dann spiele, wenn wir zusammen sind. Meine Mutter nimmt uns mit zu einem Sandstrand, wo der Sand so weiß und dasWasser so türkisblau ist, dass man meinen könnte, man sei in der Karibik. Bis man den Zeh ins Wasser hält.

Am letzten Tag erzählt mir meine kleine Schwester, dass sie von Lydia und Amy sehr beeindruckt ist. Wie tolerant und reflektiert sie sind im Vergleich zu den meisten Gleichaltrigen, die oft eher zum Schwarz-Weiß-Denken neigen. „Sie denken selber, anstatt Dinge zu sagen, die sie einfach gelernt haben, und sie geben keinen Urteil ab, wenn jemand anders ist oder anders denkt“, erzählt sie. Ihre Worte berühren mich so sehr, dass ich fast weinen muss. Denn ohne dass meine Schwester das wissen kann, sind all das Werte, von denen ich vom Herzen hoffe, dass wir sie unseren Kindern vorleben. Ich wünsche mir so sehr für sie, dass sie neugierig durch die Welt laufen werden, mit offenen Augen und einem offenen Geist.

Nach einer sehr schönen, aber für mich als Introvertierter auch anstrengenden Woche, machen wir uns schließlich auf den Heimweg.

Wir fahren an einem wilden und tobenden Wasserfall vorbei und können nicht anders als anzuhalten. Die Kinder klettern über einige große Steine direkt neben dem wütenden Wasser, während ich hochschaue, dorthin wo die riesigen Wassermengen herkommen, überwältigt von der Gewalt der Natur.

Wir fahren weiter und sind ziemlich schnell weit oben in den Bergen. “Papa, guck”, ruft Amy plötzlich laut, “da vorne, auf der rechten Seite!“. Ich halte sofort an und wir steigen alle aus dem Auto und bewerfen uns gegenseitig mit dem Schnee, den Amy schon von weitem entdeckt hat. Die Kinder lachen und freuen sich, und es fühlt sich einfach surreal an, dass wir in diesem Sommer, wo wir durchgehend gutes Wetter und tropische Temperaturen haben, einfach mal einen “Abstecher“ in die Berge machen und Schnee finden können.

Es ist allerdings ziemlich kalt hier oben, also sind wir alle schnell wieder im Auto. Kurz danach gibt es Streit zwischen den Kindern. Ich reagiere viel zu laut und heftig, packe eins der Kinder zu feste am Arm und muss danach um Verzeihung bitten. Bis ich mir selbst verzeihen kann, dauert es allerdings noch eine Weile.

Einige Jazz-Lieder später schlafen die Kinder, wodurch auch ich endlich innerlich zur Ruhe komme.

Ich fahre einfach weiter (hab ja noch ein paar Stunden vor mir), schaue mir die Landschaften an und fühle mich glücklich. Trotz der doofen Situation gerade. Glücklich, weil wir unterwegs sind. Weil wir so viel Schönes sehen. Weil das Leben schön ist, wenn man in Bewegung ist. Wenn es sich verändert und verändern darf.

Ps. Unsere neue Doku “Nordwärts” kann jetzt über unsere Crowdfunding-Kampagne vergünstigt vorbestellt werden! Dort kannst du dir auch den Trailer anschauen!

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Veröffentlicht von

Thor Braarvig ist Autor, Filmemacher, Hobby-Musiker, Norweger, Dortmunder...

8 Kommentare

  1. Wieder ein toll erzaehlter Beitrag, Thor. So emotionell und ehrlich beschrieben. Mach mehr aus deinen Schreibkuensten mehr Z.B. ein Buch. Ich war vor 2 J. im Winter am
    Lingyen Fjord, mit Huski schlittenfahren, Nordlicht jede Nacht beobachten, Skidoo, Schneewandern etc. und herrliche Abende am
    Kamin mit langen Gespraechen. Die Stille in dieser Landschaft ist beruhigend und es wird mir dieser Urlaub immer in Erinnerung
    bleiben.

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    • Wow, klingt toll! Nordlichter haben wir noch nie gesehen. Das will ich unbedingt mal erleben! Und übrigens: An einem Buch arbeite ich schon länger! Wird nächstes Jahr in Deutschland über ein Verlag veröffentlicht! 🙂
      LG Thor

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  2. Lieber Thor und Familie….
    was soll ich sagen, wieder mal ein toller Beitrag, völlig authentisch, so wie die vielen vorher auch.
    Es macht einfach immer wieder Spaß Euch, auf kleinen und großen Abenteuern, zu begleiten.
    Habe festgestellt die Kid`s sind gewachsen…Bokah das geht so schnell !… Ich hoffe Ihr habt Euren Lebensmittelpunkt gefunden da wo Ihr seid….und könnt von da aus Eure Sehnsüchte stillen :-)….“Verfolge“ Euch schon von Anfang an und wünsche Euch alles Glück der Welt.

    Liebe Grüße aus der alten Heimat Dortmund
    Susanne Eldenburg

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    • Liebe Susanne,
      vielen Dank für deinen Kommentar! 🙂 Uns geht es sehr gut hier wo wir jetzt wohnen. Vielleicht bleiben wir hier ganz lange! 🙂
      LG Thor

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  3. Jazz Playlist zum Einschlafen klingt für mich nach einer guten Idee.
    Hast Du etwas was Du für den Anfang empfehlen kannst?
    Grüße Thorsten

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  4. Vielen Dank für das Teilen und teilhaben lassen an diesen sehr privaten Momenten! Hut ab.
    Ich lese sehr gern von euch…….
    Da Korrektur erwünscht ist hier ein kleiner Hinweis:
    „bewerfen uns gegenseitig mit dem Schnee, das Amy schon von weitem entdeckt hat“
    Hier würde man schreiben: „Schnee, den Amy..“

    Beste Grüße und Wünsche

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