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Gänsehaut

Ein Schnelldurchlauf meiner Gefühle und Gedanken der letzten Wochen.

Ich schaue spät abends einen Film mit einer meiner Töchter. Er ist nicht besonders gut. Ganz okay. Trotzdem habe ich über die gesamte letzte Hälfte feuchte Augen. Ich fühle mich überwältigt. Glücklich. Bekomme eine Gänsehaut. Irgendwas im Film erinnert mich einfach an die Schönheit des Lebens. An etwas aus meinem eigenen Leben. Ich kann nicht genau sagen, woran. Da ist nur so ein Gefühl tief in mir drin. Und es ist ein Gutes, wenn auch ein wenig Schmerz dabei ist. Das gehört doch bei Schönheit meistens dazu.

Es ist viel los. In einem fremden Land mit einer fremden Sprache Fuß zu fassen ist nicht ohne, aber es geht Stück für Stück voran. Wir haben das schon mal vor vielen Jahren gemacht, also kommt es mir vertraut vor. Und irgendwie befinde ich mich gerade in einer besonderen Phase dieses Ankommens. Eine Phase mit einem leicht melancholischen, aber gleichzeitig positiven Grundton.

Nachmittags beim Spülen höre ich ein Lied von Eminem. Sein Talent und seine Leidenschaft faszinieren mich. Die rohen Texte. Sein immer aggressiver werdender Ton im Laufe des Liedes. All das berührt mich sehr. Trifft einen Nerv in mir. Und da ist sie wieder. Die Gänsehaut.

Spät abends, während die Familie schläft, schaue ich eine Doku über Fernando Torres, einen spanischen Fußballer, der vor kurzem seine Karriere beendet hat. Ich freue mich darüber, dass ich Menschen nun in ihrer Muttersprache verstehen kann, die ich vorher nur mit Untertiteln oder synchronisiert verstehen konnte. Ein seltsames Gefühl. Die spanische Sprache eröffnet mir eine neue Welt, genau wie es die deutsche Sprache damals tat.

Seine Geschichte inspiriert mich. Die wichtigsten Momente seiner Karriere werden eingeblendet, seine Aufs und Abs, die wichtigsten Tore, die persönlichen Niederlagen, und wie weit er es trotz all dem geschafft hat. Was er dabei gefühlt hat. Was er jetzt rückblickend denkt. Fußball kann sehr starke Emotionen auslösen. Zumindest bei mir.

Der Film zeigt, dass das Leben keine gerade Linie ist. Es geht kreuz und quer. Und vor allem ziemlich krass auf und ab. Die Gefühlsexplosion, als er ein wichtiges Tor eines großen Finales schießt, trifft mich. Eben weil ich nun seine Geschichte kenne. Die ganzen Rückschläge auf dem Weg dorthin. Dieser Kontext macht den Unterschied. Es erinnert mich an das Leben.

Als der Film fertig ist, klappe ich meinen Laptop zu, schließe die Augen und denke: Wie schön dieses verwirrende, chaotische Leben doch ist.

Ich sitze in einem gemütlichen Café bei Sonnenuntergang und lese ein Buch, in dem eine süße und unschuldige Liebesgeschichte zweier Jugendlicher vorkommt. Diese kleine, eigentlich nebensächliche Story berührt irgendwas in mir. Irgendwie schaffen sie es in Büchern und Filmen, die Emotionen solcher Geschichten so gut darzustellen. So, dass man sich damit identifizieren kann. Und das tue ich. Ich fühle mich zurückversetzt. Muss an Menschen denken, die ich liebe. An Liebe an sich und an tiefe Freundschaften. Ein warmes Gefühl von Glück und Reichtum breitet sich in meiner Brust aus. Wieder Tränen in den Augen. Was für ein reiches Leben.

Und doch so zerbrechlich.

Manchmal freut man sich so sehr über all das Schöne, was man hat und erlebt, dass man sich daran am liebsten festklammern mag, damit man es nie wieder verliert. Aber dann macht man es erst recht kaputt. Also lernt man stattdessen Loslassen. Vor allem, was die Menschen angeht, die man so liebt. Und irgendwie ist das doch auch das Schöne am Leben. Es einfach fließen zu lassen, auch wenn es nicht immer leicht ist. Vertrauen lernen. Sich klar machen, dass alles gut ist und wird, egal wie.

Das Leben ist so unsicher und unvorhersehbar, aber gleichzeitig so verdammt schön, wenn wir uns darauf einlassen. Wenn wir uns nicht an der vermeintlichen Sicherheit festhalten, sondern loslassen und uns trauen, uns treiben zu lassen.

Ich denke an diesen Tagen oft über mein eigenes Leben nach. Es ist vielleicht nicht so spektakulär, aber ich gehe meinen Weg. Jeder von uns tut das. Und das berührt mich. Mein Weg berührt mich. Unser Weg als Paar und Familie berührt mich. Auch wenn vieles zurzeit herausfordernd ist, oder vielleicht gerade deswegen. Das Leben ist oft kompliziert. Es gibt kleine und große Hürden zu überwinden. Die uns formen, stärken und weiterbringen. Maria und ich haben definitiv unseren Anteil davon gehabt.

Ach, dieses enorme Puzzle namens Leben, welches nur rückblickend irgendwie Sinn ergibt.

Dieses Chaos, das doch eine seltsame Ordnung hat.

Dieses Leben, das uns lachen, weinen, fühlen, wachsen und lieben lässt.

Was ein Geschenk!

Während ich gerade in meinem Bett sitze, den Laptop auf dem Schoß, rückblickend auf mein Leben, emotional, glücklich und stolz, muss ich auch an dich denken. Du, der diese Zeilen in diesem Moment liest.

Ich hoffe, dass es dir beim Lesen meiner Gedanken ähnlich geht. Dass du dir deinen eigenen Weg anschaust. Dein Leben. Und dass du von all dem was du durchgemacht hast, von allen Herausforderungen, die du gemeistert hast, von den Niederlagen, die du weggesteckt hast und von dem Weg, den du gegangen bist und noch gehst, eine Gänsehaut bekommst.

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Veröffentlicht von

Thor Braarvig ist Autor, Filmemacher, Hobby-Musiker, Norweger, Dortmunder...

25 Kommentare

  1. Lieber Thor,
    So wunderschön und berührend geschrieben. Ich bin froh wieder so tiefgreifende Worte von Dir lesen zu können. Auf diesem Blog habe ich Euch „kennengelernt“ und ihr habt mich inspiriert. Ich würde mich riesig über weitere Blogeinträge freuen.
    Liebe Gruß,
    Viola

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  2. Danke. Danke für diesen Blogartikel. Es liest sich einfach anders als Storys oder Beiträge auf Insta. So schön zu lesen. Es klingt so sehr nach Frieden im Herzen ❤️

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  3. Wenn ich diese Zeilen lese, dann lege ich mich gerne in die Worte hinein: Sie erinnern mich daran, wie ich selbst früher sehr viel Zeit mit dem geschriebenen Wort verbracht habe und Texte entstanden sind; Gedanken zu Papier gebracht wurden, wenngleich auch nicht weiter publik. Mit Worten zu jonglieren, das ist auch Gänsehaut für mich! Danke für die Erinnerung daran.

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  4. Guten Morgen Thor,
    Ich lese gerne deine Blogartikel . Du hast auch diesmal mein Herz berührt und dafür bin ich dankbar.
    Da ich ein sehr bewegtes Leben hinter mir habe , hatte ich vor 5 Jahren angefangen mein Leben aufzuschreiben , von dem Moment , wo ich Erinnerungen habe.
    Kann mich noch an viele Dinge aus meiner Kindheit und Jugend genau erinnern , Kindergarten zeit , da war ich 4 Jahre. Ich bin ein sogenanntes Nachkriegskind Jahrgang 1945. Hatte vor einiger Zeit aufgehoert zu Schreiben . Nachdem ich deinen Artikel gelesen habe , hat mich das Schreibfieber wieder gepackt . Ich danke dir fuer das Gaensehautgefuehl. Gruesse aus Thailand , lebe hier schon 12 Jahre Brigitte

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    • Hallo Brigitte,
      vielen lieben Dank für deine spannenden Zeilen. Dass ich dein Schreibfieber wieder „wecken“ durfte berührt mich und ist mir eine große Ehre!
      LG Thor

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  5. Wie immer ein richtig schöner und berührender Text, der zum Nachdenken einlädt!
    Und: ja ich habe nun Gänsehaut und Tränen in den Augen.

    Danke!

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  6. Sehr schön.
    Du bist ein guter Schreiber.
    Einfühlsam, echt und berührend.
    Danke fürs Teilen.
    Liebe Grüße aus dem Allgäu
    und viel Erfolg mit Eurem neuen Film!
    Annika

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  7. Danke!
    Mit Tränen in den Augen lese ich deine Zeilen.
    Auch mein Leben ist turbulent.
    Ich bin dankbar.
    Herzliche Grüße!
    Unbekannterweise.
    Jolanda

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